Herma über Freundschaft
Herma hat heute Zeit. Zeit für einen Ausflug nach Köln. Zeit, um den Dom anzuschauen, um am Rhein spazieren zu gehen und in der Altstadt etwas zu Essen. Wie sehr die 76-Jährige aus Neuss doch solche Tage genießt, denn sie sind für sie keine Selbstverständlichkeit. Ihr Mann ist gesundheitlich angeschlagen, da sei man plötzlich für alles verantwortlich und zuständig, meint sie. „Umso mehr freue ich mich, mal einen Tag rauszukommen.“ Die Ausflüge mit der Gymnastikgruppe der Arbeiterwohlfahrt, bei der Herma seit über 30 Jahren aktiv ist, bieten dafür eine schöne Möglichkeit.
In Köln war sie zwar schon häufig, aber zum ersten Mal ist sie heute beispielsweise mit einer Führung durch den Dom gegangen. Sie fand das äußerst spannend. Besonders das umstrittene Richter-Fenster hat es ihr dabei angetan. „Also ich hätte in jedem Fall auch dafür gestimmt“, sagt Herma über die abstrakte und farbenprächtige Lösung im Süd-Querhaus des Doms. „Ich finde“, sagt sie, „jede Zeit sollte ihren Ausdruck finden.“
Im Garten kann Herma die Welt vergessen
Sie selbst ist genau aus diesem Grund auch nie stehen geblieben. Ihre zwei Töchter und mittlerweile zwei Enkelkinder hätten dabei sicherlich auch ihren Einfluss gehabt, meint sie. Und bei allen Mühen der Verantwortung ist sie dann doch froh, weiter ihre Aufgaben zu haben. „So lange man etwas zu tun hat, geht es besser“, sagt sie. Denn Herma kennt auch die Gegenbeispiele. Bekannte, die im Heim lebten, erzählt sie, die hätten mittlerweile stark abgebaut. Für sie ein Grund mehr, aktiv und bewusst am Leben teilzunehmen.
Der regelmäßige Sport ist dabei nur ein Aspekt. Ihr kleiner Garten zu Hause in Neuss ein anderer. „Wenn ich dort bin, kann ich die Welt vergessen“, sagt Herma mit einem Strahlen. Schon immer hat sie, neben all den schmucken Dahlien und Rosen, hinter dem Haus auch Gemüse angepflanzt. Früher, erinnert sie sich, hätte sie noch versucht die Tomaten und den Salat hinter Blumen zu verstecken. Ganz im Ernst. Darüber muss die 76-Jährige heute selbst lachen. Mittlerweile hätte jeder in der Nachbarschaft Nutzpflanzen im Garten, sie sei in diesem Sinne sogar Vorreiterin gewesen.
Sie hat sich oft zu viele Gedanken gemacht
Dass sie sich manchmal einfach zu viele Gedanken gemacht hat, das wurde Herma erst nach und nach bewusst. Inzwischen sei sie in vielen Dingen gelassener, sagt sie. Anderes ist ihr dagegen wichtiger geworden. Freundschaften etwa, wie die zu ihrer Nachbarin Ingrid. Seit 23 Jahren wohnen die beiden Frauen nun bereits nebeneinander, aber erst in den letzten Jahren sei der Kontakt intensiver geworden. Wie wichtig es aber sei, Freundschaften zu pflegen, erkenne sie jetzt, „wo viele Freunde einen bereits verlassen“.
Die Neusserin musste bereits einige Male Abschied nehmen. Das begann sehr früh, „es fing schon in meiner Kindheit an“. Damals verlor sie ihre beste Freundin, die von einem Bombensplitter aus dem Leben gerissen wurde, gerade einmal 11 Jahre alt. „Sie hieß Eva“, sagt Herma, fast beiläufig, obwohl jedem klar ist, dass sie diesen Namen nie vergessen wird.
Ach, sagt Herma nach einer kurzen Pause, „ich wollte doch eigentlich über die schönen Dingen des Lebens erzählen.“ Sie schaut zu Ingrid, die die ganze Zeit schon neben ihr auf der Bank sitzt. Das Wertvolle an Freundschaften sei ja die Anerkennung für die eigene Person, sagt Herma dann. Ingrid nickt und lächelt. Dass man dafür nichts leisten müsse, wirklich um seiner selbst willen geschätzt werde, hat Herma aber erst lernen müssen. „Komisch“ sagt sie, „dass man so etwas erst im Alter erkennt.“
Achim Graf
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